Aufgewachsen mit einer sehr zurückhaltenden, angepassten Mutter und einem rebellischen, manchmal aggressiv aufbrausenden Vater hat mich das Leben in ein prima Lernfeld gesetzt.
Ich sage prima, weil aus diesem persönlichen Lernfeld, seinen vielen emotionalen Turbulenzen und auch schweren Zeiten, eine grosse Expertise entstanden ist, von der ich jetzt – rückblickend und mitten im Leben stehend – profitieren und ernten kann.
Von klein an stand ich immer im Dilemma, zwischen auffallen und sich zeigen oder sich unsichtbar machen und verstecken. Sich und die Gefühle zurückhalten oder sie auszuleben ohne dauernd Rücksicht auf das Umfeld zu nehmen.
In der Familie konnte ich jeweils beobachten, wie Mutter und Vater ganz anders reagierten. Weil beide ihr Extrem lebten war ich immer zwischen den Welten. Und je nach Situation dazumal, habe ich mich hinter meinen Vater oder meine Mutter gestellt.
Während ich eher die Art meiner Mutter übernommen habe und mein Bruder diejenige meines Vaters, konnte ich am eigenen Leib und im Sinne von Banduras Modelllernen bei meinem Bruder Vor- und Nachteile beider Reaktionsmöglichkeiten erkennen.
Heute aus Distanz habe ich erkannt, dass ich diesbezüglich den ganzen Werkzeugkasten mit auf den Weg bekommen habe, dieses Feld in all seinen Feinheiten zu verstehen. Ein Grenzgänger zu sein am Spannungsfeld von Integrität und Kooperation. Von Abgrenzung und Mittun. Von echter und Schein-Kooperation.
Das tun, wo man dahintersteht oder Dinge zu tun die andere von einem wollen: Im Idealfall ist das ja kein Widerspruch. Mit den Begriffen von Jesper Juul würde man sagen, dass jemand gleichzeitig kooperieren und seine Integrität achten kann.
Diesbezüglich waren Schule und Militär spannende Lernfelder, diese Grenzen auszuloten. Ich habe mir da sehr viel erlaubt an Provokation. Weil es aber auch genügend Bereiche gab, wo ich kooperiert habe, bin ich bei maximaler Freiheit auf minimale Konsequenzen gestossen.
Geholfen hat mir diesbezügliche eine Form von Intelligenz «Zügle deine Zunge, spüre was beim anderen ist, komm entgegen wo nötig».
Andere Mitschülerinnen und Mitschüler, oder auch Militärkameraden waren, diesbezüglich weniger geschickt oder viel konfrontativer. Hier bin ich dann dabei gewesen, wie Lehrpersonen und Offiziere ihre Macht eingesetzt haben. Wie die «Herrschaft» dann Gehorsam eingefordert hat durch Bestrafung, Beschuldigung und Beschämung.
Dieser oft willkürliche Umgang hat mich immer wütend und hilflos gemacht. Was zur Folge hatte, dass ich mich schon früh von solchen Systemen mit ihren autoritären Führungspersonen distanziert habe. Ich begann schon früh, all diese Felder wie Kirche, Militär, Politik zu hinterfragen und mich auf Distanz zu halten.
Zu dieser Zeit entstand auch die Unterscheidung, dass ich gewisse Lehrer*innen und Führungspersonen achtete, weil sie in ihren Rollen menschlich waren und ich sie in Bezug auf ihre Persönlichkeit und Kompetenzen gerne achtete und respektierte.
Dann gab es andere, auf die man dann richtig Wut kriegte und bei denen man vor allem Kooperation vorspielte und sich über sie «aus Distanz» lächerlich machte.
Dieses Wissen über verschiedene Formen von Führung mit all ihren Auswirkungen konnte ich dann in verschiedenen Rollen als Primarlehrer, Erwachsenenbildner aber auch Vater und Partner erkunden und – auch in der Theorie – weiterentwickeln. So ist es mir möglich, diese Erfahrungen anderen authentisch weitergeben.